Wach auf – und lebe im Hier und Jetzt

9. November 2016

Hintergrund:

Wahrscheinlich kennen die meisten Menschen das Gefühl der Melancholie, die einen manchmal in stillen Momenten einholt. Auch ich verfalle ihr hin und wieder und mache mir Gedanken über Situationen, die vorbei oder noch nicht eingetreten sind und verpasse dabei das Wertvollste, was es gibt: den jetzigen Augenblick.  Davon handelt der Text:

Wach auf

Die Nachtluft trägt das Rot der Rücklichter, während der Regen auf die Windschutzscheibe schlägt. Die Fahrt schleppt dich langsam durch den Stop-and-go-Verkehr. Die Augen schauen leer in farbige Kreise, die die Regentropfen zeichnen – Kleckse von zerfließenden Farben, die verschwommenen Bilder weichen.

Du driftest ab auf die Überholspur in Richtung Zukunft. Wo der Horizont den Himmel erreicht verlierst du dich. Du stellst dich in das Morgen, strickst dir Sorgen um Probleme, die vor deinem inneren Auge stehen, die du mit Szenarien gießt und die vielleicht niemals geschehen.

Der Scheibenwischer gleitet monoton und schleust dich hypnotisch in eine Blase der Vergangenheit: Leichte Bilder malen sich an das Fensterglas, zeigen Szenen, in denen du glücklich warst: Ein Sommer, wie im Bilderbuch, die leichte Sonne auf der spritzigen Haut, das spontane Leben, das nach Abenteuer ruft und dessen Geschichten deine Träume wurden.

Wo bist du?

Du sitzt im Auto und bist so weit weg, du fährst und steckst in Erinnerungen fest. Das passiert dir andauernd, nicht nur hier im Regen, in dem sich alles dahin schleppt, das passiert dir andauernd, selbst wenn die Sonne scheint und du auf ner Open Air Party kurz alleine stehst und die Stimmung wie ein Windhauch an dir vorbeiweht. Dann holt dich die Melancholie und katapultiert dich in das „Früher-war-alles-besser-Gefühl“. Aber früher war nicht alles besser. Die Ausrede liegt zwar schön in der Hand, aber die Summe deiner Entscheidungen haben dich dahin gebracht, wo du heute bist und du wirfst den gleichen Schatten wie damals, nur fiel dein Blick gestern in die Sonne und heute fällt er an die Wand.

Wo bist du?

Die Stadtluft weht dir um die Nase: du bist auf dem Weg ins Geschäft, dabei sitzt du erst am Küchentisch und isst dein Frühstück. Du erledigst Dinge im Schlaf, bevor du überhaupt aufgewacht bist und du rennst zum nächsten Termin, während du noch in der aktuellen Besprechung sitzt. Du kochst bereits dein Abendessen, während du im Auto nach Hause fährst und du spülst Geschirr und leerst den Müll, während du dich am Telefon unterhältst. Du rufst deine Mutter an, während du an der Kasse wartest und legst deine Arbeit nieder, während du mit ihr startest. Du isst, während du einkaufst. Du schwelgst in Sorgen während du Überstunden abbaust.

Das Leben zieht irgendwie an dir vorüber und du stehst da – am Rand – im schweren Mantel der Reglosigkeit, in dessen Fasern deine Energie gefangen bleibt. Deine Gedanken wehen wie Blätter im Wind. Weit entfernt bleibst du selber stehen vor einer Wand, die bis in den Himmel reicht. Vor der dein Mut deiner Schwäche weicht und vor der die gefühlte Freiheit nicht mal im Ansatz den Himmel erreicht.

Aber deine Gedanken – die fliegen weit darüber hinweg.

Du lebst nicht. Du träumst nur davon.

Wach auf

Und hör auf, den Dingen die tickende Uhr hin zu halten, hör auf, darauf zu warten, dass es beginnt und dass es endet. So wendet sich die Zeit nur gegen dich: was lange dauern soll, verfliegt in kürzester Zeit und was kurz Weilen soll wird zur quälenden Ewigkeit.

Halte an der Gegenwart fest, denn wenn der Regen, den Rest der Melancholie wegspült und auf dem ausgekühlten Asphalt Bedauern zurücklässt, fühlt sich doch eigentlich alles ganz richtig an.

Gehe während du gehst.
Schlafe während du schläfst.
Koche, während du kochst.
Und rede während du sprichst.

Wach auf

Und hör auf dein Leben zu verlieren, weil du dein Herz nicht hörst. Du jagst die Zukunft und flüchtest in die Vergangenheit und zerstörst damit alles, was jetzt ist. Alles in dir schreit nach Ruhe, die du nicht findest. Du hältst dein Glück zurück, weil du dein Leben an eine Kette im Park bindest und nicht mehr abholst. Wer dich fragt, was du gelebt hast, wird die Lüge hören, die deine Ausrede für den Stillstand ist.

Deine Gedanken tanzen durch die Jahrzehnte zwischen „früher war alles besser“ und „wär ich doch schon älter, dann wäre ich bereit“. Alles Quatsch, was du erzählst. Dein Leben steht vor der Tür. Es will dich abholen und dir im Präsens ein Zuhause geben.

Du verbaust dir den Blick auf das Gute, denn die möglichen Probleme wehen dir vielleicht niemals vor die Füße, wenn du nicht an sie glaubst.

Und der wichtigste Mensch ist der, der bei dir ist. Schenk ihm nicht nur deine Zeit, sondern schenke ihm dich. Es ist egal, was nachher oder morgen ist, weil dieser Moment, der wichtigste ist und du – hier – ganz genau richtig bist.

Wach auf!

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