Gesunde Grenzen setzen – fange mit diesem Schritt an

12. Januar 2023

Wie kann ich mich besser abgrenzen? Wie kann ich mich schützen? Wie kann ich gesunde Grenzen setzen? Diese Fragen stellen sich viele hochsensible Personen (kurz HSP). Doch nicht nur für HSP, grundsätzlich ist das Setzen gesunder Grenzen für jeden Menschen wichtig, der an einem ehrlichen und (wahrhaft!) harmonischen Miteinander interessiert ist.

Was gesunde Abgrenzung bedeutet, wieso HSP das Grenzen setzen schwerfällt und welche wichtigste Basis es braucht, um gesunde Grenzen setzen zu können, erfährst du in diesem Artikel.

Was gesunde Abgrenzung bedeutet

Wenn es um Beziehungen geht, wird häufig von der Fähigkeit zur (gesunden) Abgrenzung gesprochen. Doch was heißt das eigentlich?

Gesunde Abgrenzung bedeutet, dass ich mich von etwas distanziere, das meinem Wohlbefinden schadet – und die volle Verantwortung für diese Entscheidung übernehme.

Zum Beispiel: mich um 21.00 Uhr von einer Geburtstagsfeier verabschieden, weil ich müde bin und schlafen möchte. Eine Aufgabe ablehnen, weil ich keine freien Kapazitäten habe. Oder ein Treffen ablehnen, weil ich Zeit für mich alleine braucht.

Was in der Theorie logisch und einfach klingt, ist in der Praxis oft schwierig.

Warum HSP Grenzen setzen schwerfällt

Viele Menschen, vor allem jedoch hochsensible Menschen, haben große Schwierigkeiten damit, sich auf gesunde Weise von anderen Menschen abzugrenzen.

Ein Grund dafür ist das oft hohe Einfühlungsvermögen und damit einhergehend der Wunsch, andere Menschen mit einem „Nein“ nicht verletzen zu wollen. Hochsensible können die Enttäuschung, die sie in anderen möglicherweise hervorrufen, nur schwer ertragen, weil sie diese gleichermaßen fühlen.

Ebenso fällt es HSP durch das hohe Mitfühlen manchmal schwer, ihre eigenen Gefühle (und Bedürfnisse) zu spüren, was zu Unsicherheit in Bezug zur Wahrnehmung ihrer eigenen Grenzen führt.

Auch die leichte Verletzbarkeit führt dazu, dass HSP sich schwer tun im Grenzen setzen. Denn ein „Nein“ birgt immer die Gefahr, auf Widerstand zu stoßen und mit Kritik und Vorwürfen konfrontiert zu werden:

  • „Na toll! Das hätte ich nicht von dir erwartet.“
  • „Ach komm, stell dich nicht so an!“
  • „Oh wie schade. Ich hatte mich so darauf gefreut! Bitte tue es für mich.“
  • „Ich weiß nicht, wie ich das ohne dich schaffen soll, das wird sehr schwer.“

Aussagen dieser Art können feinfühlige Menschen leicht verletzen, tief treffen und große Schuldgefühle in ihnen wecken.

Zudem fühlen sich HSP – wenn Kritik und Vorwürfe zurückkommen – emotional getrennt von ihrem Gegenüber, was für HSP ebenfalls schwer zu ertragen ist. Ihr tiefer Wunsch nach Verbundenheit (der oft ungesund verstärkt wird durch ein (unbewusst) erlebtes Bindungstrauma in der Kindheit) lässt HSP oft keine Grenzen setzen, weil ein Nein – in ihren Augen – diese Verbundenheit gefährdet.

Welche Gründe auch vorliegen mögen: Um den emotionalen Schmerz zu vermeiden, den das Grenzen setzen hervorrufen könnte, passen sich HSP häufig an und erfüllen – oft mit höchster Sorgfalt – die Erwartungen und Wünsche ihrer Mitmenschen, anstatt auf ihre eigenen Rücksicht zu nehmen.

„Ich muss mich schützen!“ – Ein Zeichen von Angst

Vielleicht kennst du das Gefühl, Grenzen setzen zu wollen, weil es für dich richtig wäre, doch es gelingt dir einfach nicht?

Die Ursachen sind meist einem inneren Konflikt geschuldet, der aus den bereits oben genannten Gründen hervorgeht. Schuldgefühle, Angst vor Ablehnung, mangelnde eigene Erlaubnis von Grenzen oder die Angst, andere zu verletzen, lassen uns im Außen nicht die notwendige Abgrenzung vornehmen, die für unser Wohlergehen wichtig wäre.

Wer Grenzen nicht setzen kann, obwohl er es eigentlich möchte, beginnt unbewusst Angst vor den Situationen und Menschen zu entwickeln, in/bei denen eine Grenzüberschreitung vorkommen kann oder wahrscheinlich ist.

Zum Beispiel haben wir insgeheim Angst vor der Kollegin Sabine, weil sie immer negativ eingestellt ist und uns mit ihrer schlechten Laune leicht die eigene Stimmung verdirbt.

Oder wir haben Angst vor großen Geburtstagsfeiern, weil wir dort immer vielen Reizen und Energien ausgesetzt sind, die uns erschöpfen und unruhig machen.

Oder wir haben Angst vor dominanten Menschen, weil ihre direkte und unsensible Art uns leicht verunsichert und wir uns unfähig fühlen, ihnen selbstsicher entgegenzutreten.

Grundsätzlich können wir uns aus zwei verschiedenen Positionen heraus abgrenzen:

  1. Aus der Ruhe und Klarheit heraus oder
  2. aus der Unsicherheit und Angst heraus

Wenn wir glauben, uns schützen zu müssen, hat das in der Regel mit Angst zu tun. Wir haben Angst vor etwas, das uns negativ beeinflussen wird! und vor dem wir uns – von vornherein – schützen müssen, weil wir uns in der Lage selbst unfähig dazu fühlen.

Weniger Schutz durch inneren Rückzug

Ein Schutz aus Angst bedeutet, mit Flucht, Angriff oder Totstellen zu reagieren.

Wir entziehen uns daher entweder von vornherein der Situation, die wir fürchten oder wir ziehen uns – inmitten der Situation – innerlich zurück oder stellen unsere (imaginären) Stacheln auf.

Durch den inneren Rückzug oder das „Mauern“ sind wir körperlich nicht wirklich anwesend. Es kann uns dabei so vorkommen, als „stehen wir neben uns“ oder als wären wir eingeschlossen in uns selbst. Wir fühlen uns stark getrennt von allem.

Wir spüren uns (mitsamt unseren Bedürfnissen) nicht mehr richtig.

Wir spüren die anderen nicht richtig.

Wir spüren den Moment nicht richtig.

Und wir verhalten uns dementsprechend auch unsicher und unbeweglich, weil wir weder mit uns, noch mit den Mitmenschen, noch mit dem Moment wirklich in Kontakt sind.

Energetisch gesehen sind wir nicht in unserem Körper präsent, wodurch unser eigener Energieraum (Aura) auch leichter aufgefüllt werden kann mit fremden Energien (die du als HSP oft deutlich spürst.)

Viele Menschen wählen den Weg des (inneren) Rückzugs, um sich zu schützen, weil sie es nicht besser wissen und gelernt haben. In ihnen lebt die Vorstellung, dass Abgrenzung bedeutet, „zuzumachen“ und sich zu verschließen. Was logisch klingt und als vermeintlicher Schutz dient, fördert wie du in diesem Abschnitte erfahren hast, jedoch das Gegenteil: Ein geringerer Schutz.

Präsenz als Schlüssel zur gesunden Abgrenzung

Gesunde Abgrenzung hat mit Offenheit und Präsenz zu tun:

Du bist voll und ganz in deinem Körper „anwesend“ und nimmst dadurch auch energetisch deinen eigenen Raum ein. Es ist ein Aufmachen, anstatt ein Zumachen. Du öffnest dich dem Moment, anstatt wegzugehen und dich dem Moment zu verweigern.

Je präsenter du in deinem Körper bist, desto klarer kannst du dich und deine tatsächlichen Bedürfnisse und Grenzen spüren. Das ermöglicht dir, aus der Ruhe und Klarheit heraus zu agieren.

Je präsenter du in deinem Körper bist, desto mehr kannst du dich auf die Menschen und die Situation einlassen. Auf das, was ist. Du bist dadurch auch für andere spürbar „da“ und erlebst den Moment wahrhaftig.

Je präsenter du in deinem Körper bist, desto weniger können auch fremde Energien deinen eigenen Raum einnehmen, weil du diesen Platz selbst ausfüllst.

In deinen Körper zurückkommen

Prüfe einmal, ob du beim Abgrenzen innerlich „weggehst“. Wenn ja: registriere das und komme in deinen Körper zurück. Das gelingt zum Beispiel über deine fünf Sinne: Atme fünf Mal bewusst ein und aus. Spüre den Boden unter deinen Füßen. Berühre deinen Arm. Trinke ganz bewusst ein paar Schlucke Wasser. Nimm die Geräusche deiner Umgebung wahr.

Es ist okay, dass du hier bist. Es ist schön, dass du hier bist. Dir kann nichts passieren.

Im präsenten Zustand kannst du dich selbst viel klarer spüren und dadurch auch ruhiger und klarer abgrenzen von dem, was dir in diesem Moment nicht guttut. Anstatt von vornherein Angst zu haben, „Schaden zu erleiden“, bleibst du da und gehst mit dem Moment mit. Du erlebst ihn und du fließt mit ihm: Wenn es dir zu viel wird, sprichst du das aus. Wenn du etwas brauchst, sorgst du dafür, dass du es bekommst. Dieses Einlassen und leben aus dem Moment heraus schenken dir Freiheit, (innere) Beweglichkeit und Sicherheit.

Grenzen setzen bedarf der Übung

Gesunde Abgrenzung ist ein komplexes Thema und es Bedarf der Übung. Das „Da bleiben“ im Körper kann herausfordernd sein, weil wir jene Gefühle spüren, denen wir bisher aus dem Weg gegangen sind. Den Umgang mit diesen Gefühlen und Ängsten zu lernen, ist ein weiterer Schritt in der gesunden Abgrenzung. Denn erst durch unsere Fähigkeit zum gesunden Selbstmanagement, können wir uns sicher und stabil in herausfordernden Situationen fühlen. Hierbei kann auch ein Coaching sehr helfen (hier kannst du ein Erstgespräch vereinbaren)

In diesem Artikel habe ich dir den ersten und wichtigsten Schritt genannt, den es braucht, um dich gesund abgrenzen zu können: Deine Präsenz. Und ich wünsche dir, dass du dir zunehmend erlaubst, dem Leben voll und ganz zu begegnen. Denn Leben bedeutet Verbundenheit, Gegenwärtigkeit, Kontakt. Erst in der Berührung mit dem Leben, kannst du die Schönheit, die Tiefe und die Fülle, die darin liegen, wahrnehmen.

Erkennst du dich im „Zumachen“? Wie ergeht es dir mit dem „Aufmachen“? Was sind Schwierigkeiten? Schreib mir einen Kommentar. Ich freue mich auf den Austausch.

2 Gedanken zu „Gesunde Grenzen setzen – fange mit diesem Schritt an“

  1. hallo bettina,
    guter beitrag, vielen dank!
    das mit der abgrenzung ist überhaupt nicht leicht und wenn die selbstwahrnehmung sich verabschiedet (aufgrund zuvieler reize, angst oder beim-andern-sein) ist alles ein wischi-waschi und verschwinden.
    komischerweise treff ich dann sehr oft auf menschen (meist abends beim ausgehen) die ebenso nicht ganz in ihrer mitte sind und die mich dann mit ihren problemen in beschlag nehmen.
    die mich zutexten und danach is der abend gelaufen und ich bin ko.
    da ich in keiner festen beziehung lebe aber eine grosse sehnsucht nach menschlicher nähe habe und so gerne mal wieder in den arm genommen werden würde einfach um zu atmen und „runterzukommen“ weiss ich garnicht, wie ich da hinkommen soll!
    ich bin nun schon ganz schön alt,
    46 jahre.
    trotz meiner wirklich grossen sehnsucht danach hab ich es nie geschafft in einer partnerschaftlichen beziehung mit einem gegengeschlechtlichen gegenüber „dazusein“.
    ich bin bis jetzt immer „rausgegangen“.
    obwohl das nicht meine absicht war. bzw. habe mir“unerreichbare“ partner ausgesucht…
    seltsam.
    ich denk solche geschichten hörst du öfter.
    das gute ist, dasz alles schonmal viel schlimmer war.
    ich versuche mit aufmerksamkeit, offenheit und neugierde in situationen hineinzugehen(…wenn ich mich dran erinnere) und meiner körperwahrnehmung gewahr zu sein.
    früher hab ich häufig durch alkohol nähe hergestellt, aber das ist nicht immer so zu empfehlen.
    ich hab ziemlich lang eine psychotherapie gemacht in dder viel geredet wurde.
    das hat durchaus gutgetan, ging aber für mein gefühl an der sache vorbei.
    ich hatte immer das gefühl, dass körperarbeit viel besser für mich ist, da sie mich zu mir bringt.
    deshalb tanz ich sehr gerne und lange. theater ist auch gut.
    kennst du denn gruppen oder therapien die solch einen ansatz haben?
    ich wohn in berlin.
    vielen lieben dank fürs lesen!
    julia

    Antworten
    • Liebe Julia, vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, wenn wir unsere eigenen Grenzen missachten, werden wir leicht „zur Beute“ für Menschen, die sich das Fehlen unserer Grenzen zu nutze machen. Letztlich führt auch genau das dazu, dass wir oft nicht lange in Partnerschaften bleiben oder uns wirklich einlassen, weil wir Angst haben, dass wir dann darin unter gehen. Wie du sicher auch aus deinen Therapien gelernt hast, geht es im Kern darum, sich nicht mehr von anderen emotional abhängig zu machen, sondern zu lernen, für sich alleine zu stehen, während man zeitgleich im Kontakt mit dem anderen bleibt.
      Wie du sagst, ist auch der Körper wichtig. Auch ich finde er darf nicht außer acht gelassen werden, weil darin Emotionen abgespeichert sind, die wir entlassen dürfen. Ich kenne leider niemanden in Berlin, vielleicht versuchst du es mal unter dem Stichwort „Körperorientierte Psychotherapie“ oder „Somatic Experiencing“. Es ist wundervoll, dass du für dich bereits Bewegung entdeckt hast. In meinen Augen ist auch der Fokus auf die „lichtvolle Seite“ wichtig. Sich nicht nur und ständig mit seinen negativen Themen beschäftigen und daran zu arbeiten, sondern auch den Blick öffnen für das, was noch da ist, was mehr Raum bekommen darf und diese Aspekte in den Fokus nehmen.
      Liebe Grüße
      Bettina

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